Roland Czada
Zwischen Sachzwangideologie und Technokratiekritik
Diskurskapriolen um Technikbewertungen und Expertenrollen
Unter den zahlreichen Gesellschaftsbegriffen fristet die »Expertengesellschaft« ein
Schattendasein. Das von Hans-Georg Gadamer 1974 eingeführte Konzept beton-
te die gesellschaftliche Rolle von Fachleuten, ohne deren Rat alltagspraktische,
politische und ökonomische Entscheidungen kaum noch möglich seien.
1
Der Be-
griff »Expertengesellschaft« ist inzwischen obsolet geworden, ebenso wie der des
»Technischen Staates« der sein politisches Pendant darstellt. Beiden Konzepten
lag noch die Annahme zugrunde, es gebe klar abgesteckte und allgemein aner-
kannte Kompetenz- und Rationalitätskriterien für Expertenrat. Dass es sie nicht
gibt, kann wissenssoziologisch begründet werden, etwa damit, dass Nicht-Wissen
über Handlungsnebenfolgen die Expertenrationalität begrenzt,
2
oder kognitive
Überforderung, disziplinäre Ausdifferenzierung, Gegenexpertisen bis hin zu »Bor-
nierungen im Experten-Wissen«
3
Unsicherheiten freilegen. Die Destruktion des
Expertendogmas verband sich in Deutschland schon in den 1920er Jahren mit
einer Technokratie- und Zivilisationskritik, die seelenlose Maschinenwelten und
deren Konstrukteure als bedrohlich wahrnahm.
4
Ihr Anliegen bestand darin,
einen tatsächlichen oder vermeintlichen Herrschaftsanspruch technischer Intelli-
genz zurückzuweisen und damit wahlweise Kultur, Demokratie, Humanität oder
den Anspruch auf Entscheidungsfreiheit gegen Technokratie in Schutz zu nehmen.
Die in den 1980er Jahren aufgekommene Rede von konkurrierenden Rationali-
tätsansprüchen und »wuchernden Schattengewächsen des Nicht-Wissens«
5
, sieht
sich als Teil einer neuen Technokratiekritik, die vom Paradigma einer zweiten,
reflexiven Moderne ausgeht. Tatsächlich, dies soll im Folgenden gezeigt werden,
steht sie in der Tradition von Technikdiskursen, die in Deutschland seit den
1920er Jahren kontrovers geführt werden.
Die These, dass die Postmoderne wesentlich durch unsicheres Wissen, multiple
Expertisen und erweiterte Entscheidungsalternativen gekennzeichnet sei, steht in
merkwürdigem Kontrast zur stets wiederkehrenden Klage über eine zunehmen-
de Sachzwangideologie und damit einhergehende Verengung politischer Entschei-
dungsalternativen.
6
Zudem ist aktuell von populistischen Entgleisungen der De-
1 Gadamer 1974, S. 1145.
2 Beck 1999.
3 ebd., S. 302.
4 Fritz Langs technikkritischer Film »Metropolis« und Oswald Spenglers Monumental-
werk »Der Untergang des Abendlandes« geben davon beredtes Zeugnis.
5 ebd., S. 314.
6 Landwehr 2018.
Leviathan, 49. Jg., Sonderband 38/2021, S. 43–66
Czada, Roland 2021. „Zwischen Sachzwangideologie und Technokratiekritik. Diskurskapriolen um
Technikbewertungen und Expertenrollen“, in Umstrittene Expertise: Zur Wissensproblematik der
Politik, Leviathan Sonderband 38, S. 41-66. Baden-Baden: Nomos
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mokratie die Rede, die sich gegen eine überhandnehmende technokratisch-elitä-
re Politik richten.
7
Abnehmende Gewissheiten und zunehmend technokratisches
Regieren erscheinen widersprüchlich, sind aber genau das, was die Politik seit
geraumer Zeit und insbesondere in der gegenwärtigen Pandemiepolitik und Kli-
mapolitik kennzeichnet.
Sachzwangideologie und Technokratiekritik sind zwei Seiten einer Medaille, die
sich im deutschen Technokratiediskurs meist auf der Kante dreht und ab und
zu auf die eine oder andere Seite kippt. Diskurskapriolen, die Wissenschaft und
Technik einmal als alternativlos und dann wieder als eine Menschheitsgefahr
darstellen, fanden und finden sich in Deutschland mehr als in anderen Industrie-
ländern. Das hat Auswirkungen auf den Umgang mit Expertisen und Experten-
rollen. Deren Autoritätsverfall lässt sich anhand von Umfrageergebnissen und
intellektuellen Diskursen nachzeichnen. Ungeachtet einer untergründig fortlaufen-
den Technik- und Expertiseskepsis, blieb die Sachzwangslogik der Technokratie
ein mächtiges, immer wieder hervortretendes politisches Argumentationsmuster.
Der Verweis auf alternativlose Handlungsimperative, neuerdings unter Berufung
auf sogenannte »Faktenchecks«, wuchs in dem Maße, in dem Expertenmonopo-
le und klassische technokratische Entscheidungsmodi einem »spätmodernen Pala-
ver-Modell«
8
gewichen sind, das unklar lässt, wer fachlich mitreden darf und
Gehör verdient. Wo der Konsens darüber, wer qua Ausbildung und Profession
etwas zu sagen hat, verfällt, geraten Expertendiskurse leicht zum politischen Kräf-
temessen. Diskurshegemonie wird zur entscheidenden Größe im Kampf um die
Anerkennung von Sachverstand. In der Folge wirken gesellschaftliche Diskurse,
demoskopische Einstellungsmuster, Machbarkeitsvorstellungen und Machtstruk-
turen unmittelbar auf Formen und Inhalte sachverständiger Politikberatung ein.
Das paradox anmutende Wechselspiel von Wissensanmaßung und Experti-
seskepsis lässt sich anhand von Technikdiskursen der unmittelbaren Nachkriegs-
zeit über den Gelehrtenstreit zum »technischen Staat« der 1960er und 70er Jah-
re bis zum Konzept der »Risikogesellschaft«
9
der 1980er Jahre und weiter zu
aktuellen Debatten über »Ökomoderne« und »technologische Singularität« nach-
zeichnen. Der deutsche Technokratiediskurs, den ich im Folgenden zu ergründen
suche, ist vielschichtig und widersprüchlich. Er bewegt sich zwischen technokra-
tischen Illusionen, deren mehrfacher Desillusionierung und einer historisch tief-
sitzenden Technikskepsis, die der deutschen Gesellschaft den Vorwurf einer ge-
wissen Technikfeindschaft einbrachte.
10
Die empirischen Grundlagen – Großteils
Bevölkerungsumfragen – solcher Befunde sind kontrovers bewertet worden. Sie
lassen eine merkwürdig ambivalente Haltung zum wissenschaftlich-technischen
Fortschritt erkennen. Die im Ländervergleich ungewöhnliche Expertiseskepsis
wird noch deutlicher, wenn Umfragedaten mit kritischen Beiträgen der Technik-
7 Urbinati 2014.
8 Beck 1999, S. 306.
9 Beck 1986.
10 Jaufmann 1988; Müller und Nievergelt 1996; Rothenhäusler 2013.
44 Roland Czada
philosophie, sozialwissenschaftlichen Risikodiskursen und politisch-administrati-
ven Machbarkeitsansprüchen konfrontiert werden. Auf verschlungenen Pfaden,
die ich im Folgenden skizzieren möchte, mäandert der Diskurs zwischen einem
fast naiven Glauben an technische Naturbeherrschung und oft nicht weniger nai-
ven Ängsten vor Natur- und Kulturzerstörung bis hin zur Selbstauslöschung oder
einer künftigen Roboterherrschaft, wie sie Martin Heidegger bereits 1947 imagi-
niert hatte.
Unbehagen an der »Expertengesellschaft«
Ansätze zur Technokratie finden sich in den ersten Nachkriegsjahrzehnten in
allen Industrieländern.
11
Dies wird an Planungsministerien und Wirtschafts- und
Sozialräten in europäischen Staaten deutlich
12
und kam in den neu gegründeten
Europäischen Gemeinschaften zum Ausdruck.
13
Die deutsche Politik erlebte in
den 1970er Jahren den Höhepunkt einer Planungseuphorie, die dann zum Ende
des Jahrzehnts abklang und den Horizont für eine als alternativlos geltende neo-
liberale Wende der 1980er Jahre und einen bis heute anhaltenden Diskurs über
Technikrisiken freigab.
Während die Regierungspolitik, ebenso wie die Natur- und Ingenieurwissen-
schaften, technikaffin blieben, hatte die vom Nationalsozialismus genährte Tech-
nikbegeisterung in der deutschen Gesamtbevölkerung schon früh nachgelassen.
Die Zustimmung zur Aussage »Die Technik ist ein Segen« war zwischen Mitte der
1966 und 1981 von 72 auf 30 Prozent eingebrochen.
14
Zwar stieg das Technik-
vertrauen in den 1990er Jahren an, brach aber schon Mitte der 2010er Jahre wie-
derum deutlich ein. 2005 fand die Aussage »Wissenschaft und Technik ermöglicht
zukünftigen Generationen mehr Lebensqualität« bei 77 Prozent Zustimmung.
2017 waren es nur noch 49 Prozent, 36 Prozent äußerten eine ambivalente Ein-
stellung.
15
Wie in den ersten Nachkriegsjahrzehnten erscheint die Volatilität der
Einstellungen bemerkenswert.
Schon bald nach Kriegsende eroberte eine kulturpessimistische Technikkritik die
Feuilletons der jungen Bundesrepublik, die von so unterschiedlichen Autoren wie
Günther Anders, Martin Heidegger, Ernst Jünger, Herbert Marcuse oder Theodor
W. Adorno ausging. Zugleich blieb ein davon abgekoppelter politischer Diskurs
bis weit in die 1970er Jahre von Machbarkeitsvorstellungen und Planungseupho-
rie geprägt. Der philosophisch-feuilletonistische, der natur- und ingenieurwissen-
schaftliche und der politisch-administrative Technikdiskurs verliefen ungleichzei-
tig. Ihre Widersprüchlichkeit ist erklärungsbedürftig, zumal andere Hochtechno-
logieländer von Technikskepsis und Technokratiekritik erst viel später betroffen
1.
11 Christian et al. 2018; Hayward 1974; Albrecht 1964.
12 Shonfield 1965.
13 Radaelli 2008.
14 Scheuch 1990, S. 102; Lübbe 1990, S. 6-7.
15 Acatech 2018, S. 9.
Zwischen Sachzwangideologie und Technokratiekritik 45
Leviathan, 49. Jg., Sonderband 38/2021
waren. In Frankreich, Japan, den USA oder Schweden fand die Annahme, Inge-
nieure und Technokraten bildeten die Avantgarde einer technologisch bestimmten
Zukunft, viel längeren Nachhall als die Rede vom »Technischen Staat« in
Deutschland. Erst in jüngster Zeit sind in Japan und Frankreich technokratische
Traditionsbestände unter Kritik geraten. Wie kann die Besonderheit der deutschen
Technokratie-Debatte erklärt werden? Woher rührt das Unbehagen an der Tech-
nik in einem Land, das zu den technologisch fortschrittlichsten Nationen zählt?
Die Frage erscheint über sozial- und technikgeschichtliche Aspekte hinaus von
aktueller Dringlichkeit. Wie kann eine Gesellschaft die aktuelle technologische
Revolution meistern, in der Technikvertrauen und Fortschrittsglaube früh einbra-
chen und einem Diskurs Platz machten, der unter dem Begriff ›Risikogesellschaft‹
emphatisch auf drohende Gefahren und das Versagen von Technik abhob? Zur
intellektuellen Technikskepsis kommt hinzu, dass der Glaube, Astrologie und
Homöopathie seien Wissenschaftsdisziplinen, in Deutschland mehr als andernorts
verbreitet ist. Kognitive Polyphasie, die unhinterfragte Gleichstellung von Wissen
unterschiedlicher Rationalität im selben Individuum, war laut einer Eurobarome-
ter-Umfrage von 2004 in der deutschen Gesellschaft stärker ausgeprägt als in
allen westeuropäischen Nachbarländern.
16
Neuere Untersuchungen zu »Aberglau-
be, Esoterik und Verschwörungsmentalität in Zeiten der Pandemie« bestätigen
dieses Bild.
17
Dabei betrachten sich die in Deutschland Befragten als gut informiert. 95 Pro-
zent geben an, von Gentechnologie gehört zu haben, 87 Prozent vom Klonen
von Tieren zur Produktion von Lebensmitteln, mehr als in jedem anderen europä-
ischen Land.
18
Das Gefühl, gut informiert zu sein, resultiert mutmaßlich aus der
Prävalenz kritischer Mediendiskurse zu Technologiethemen. Technikskepsis kann
insofern als Diskursprodukt verstanden werden. Wo mit Alltagstechnologien –
Auto, Verkehr, Kommunikation et cetera - eigene Erfahrungen vorliegen, findet
sich auch keine nennenswerte Ablehnung. Es geht demnach um die Fragen, wel-
che Expertenrollen und Technikvorstellungen die Diskursgeschichte prägen, wel-
ches Verhältnis von Politik, Staat, Wissenschaft und Technik darin zum Ausdruck
kommt und wie intellektuelle und massenmediale Diskurse kollektive Wahrneh-
mungen beeinflussen.
Ursprünge einer »Expertendämmerung«
In der kritischen Wissenssoziologe gilt der Dreiklang von »Wissens-, Wissen-
schafts- und Expertengesellschaft« als unangemessen, weil er – so Ulrich Beck
in seiner Diagnose einer von unsicheren Nebenfolgen geprägten »reflexiven Mo-
derne« – dem Modell einer »linearen Wissens-Rationalisierung« und damit einem
2.
16 Allum und Stoneman 2011, S. 317.
17 Schließler et al. 2020.
18 Europäische Kommission 2010, S. 15, 61.
46 Roland Czada
unhinterfragten Fortschrittsoptimismus huldige.
19
Becks Risikogesellschaft »ist
nicht eine durch das Wissen von Experten gesteuerte Gesellschaft, sondern ein die
Wissenschaft übergreifendes Konfliktfeld, in dem eine Vielzahl von Rationalitäts-
ansprüchen unterschiedlichster Akteure aufeinander treffen und Wissenskonflikte
um Risikodefinitionen austragen«.
20
Becks im Jahr der Tschernobyl-Katastrophe
verkündete Absage an die Monorationalität der ökonomischen, technischen, po-
litischen, wissenschaftlichen Subsysteme markiert eine »Expertendämmerung«
21
,
die schon lange vorher einsetzte.
Da Zweifel am technischen Fortschritt bereits Mitte der 1960er Jahre zunah-
men, können die seit Mitte der 1980er Jahren geführte, von Störfällen und
Katastrophen befeuerten Debatten über Technikrisiken nicht als Ursache abneh-
menden Technikvertrauens in Deutschland herhalten. Die Vorstellung, Soziologen
und Politikwissenschaftler hätten Technikängste und Machbarkeitszweifel in die
Welt gesetzt, erscheint abwegig. Das vom Gegensatz von ›Mensch‹ und ›Maschi-
ne‹ ausgehende Unbehagen an der technischen Zivilisation begann lange bevor
die Rede von der Risikogesellschaft den technikkritischen Diskurs bestimmte. Er
entspringt kulturpessimistischen Strömungen der Vorkriegszeit, die die technische
Zivilisation als dystopische Bedrohung wahrnahmen. Die im Zweiten Weltkrieg
und beginnenden kalten Krieg entfesselten technischen Zerstörungskräfte bekräf-
tigten diese Wahrnehmung. Sie befeuerte eine schon in den ersten Nachkriegsjahr-
zehnten verstärkte Technikkritik. Tatsächlich knüpft dieser Diskurs explizit oder
uneingestanden an Debatten der Weimarer Republik und insbesondere an Oswald
Spenglers Monumentalwerk »Der Untergang des Abendlands« an und wirkt in
dessen kulturpessimistischem Tenor bis heute nach.
22
Der Soziologe Erwin K. Scheuch beklagte eine in Deutschland vorherrschende
»Feuilleton-Kritik«, die »das Unsichtbare an der Technik« als faszinierend und
zugleich angsteinflößend vermittle.
23
Sie bezieht sich wesentlich auf Großtechnik,
Atomenergie und Computernutzung, nicht auf Waschmaschinen, Kühlschrank,
Telefon oder Aufzüge, die als hilfreiche Werkzeuge empfunden werden. Indes ziel-
te die Kritik an Expertenherrschaft überwiegend auf technologische Innovationen
und großtechnische Systeme, die dem Laienverstand weithin verschlossen bleiben
und der Politik Beratungsbedarfe, neue Regelwerke und Entscheidungen etwa
über Genehmigungsvoraussetzungen abverlangen. Es geht um Expertisen, die auf
noch unbekanntem Terrain drängende Entscheidungen ermöglichen, Vertrauen
schaffen und Unsicherheit reduzieren sollen. Das gelang vergleichsweise reibungs-
los solange der Expertenstatus klar umrissen war und Fachleute autoritativ für ihr
Fachgebiet sprechen konnten.
19 Beck 1996, S. 289-291; Junge 2008.
20 Wilde 2010, S. 40–41.
21 Hömberg 2009, S. 9–10.
22 Eckermann 1980; Swer 2019; Adorno 1950 [1938].
23 Scheuch 1990, S. 104.
Zwischen Sachzwangideologie und Technokratiekritik 47
Leviathan, 49. Jg., Sonderband 38/2021
Mit dem Begriff der »Expertengesellschaft« hatte Gadamer den qua Fachwissen
unentbehrlichen »Berufsmenschen« im Blick. Es handelt sich um den Idealtyp
einer Gesellschaft, »in der man sich an den Fachmann wendet und bei ihm die
Entlastung für praktische, politische, ökonomische Entscheidungen, die man zu
treffen hat, sucht«.
24
In diesem professionsbezogenen Sinne kann man die moderne Gesellschaft gewissermaßen
eine ›Expertengesellschaft‹ nennen: In weiten Bereichen entscheiden (relativ) klar und
formal definierte Personengruppen verbindlich über mannigfache Probleme nicht nur des
sozialen, sondern auch des persönlichen Lebens. Relevant für die Kompetenzansprüche
des professionellen Experten ist also nicht, daß er sein tatsächliches Wissen irgendwie
glaubhaft machen, sondern daß er es entsprechend den professionell verwalteten Kriterien
formal nachweisen kann.
25
Dahinter steht ein Expertenbegriff, wie ihn Walter Sprondel ausgehend von der
Unterscheidung ›Experte‹ vs. ›Laie‹ als institutionelle Festlegung kennzeichnet.
26
Das Bildungssystem verlieh Expertenstatus von der Handwerksausbildung über
die Hochschulen bis in die Institutionen der Spitzenforschung. Ausbildung ga-
rantierte professionelle Autonomie und legitimierte berufsständische Selbstverwal-
tung, die einer übergriffigen staatlichen Interventionslust Grenzen setzte. Inzwi-
schen sind diese Vorstellung einer »Expertengesellschaft« und die ihr eigene Form
von Politikberatung hinfällig. Was sich zwischen den ersten Nachkriegsjahrzehn-
ten und heute verändert hat, wird bespielhaft am Vergleich energiepolitischer
Beratung in der Aufbauphase der Kernenergienutzung mit der Politisierung von
Expertise beim Kernenergieausstieg deutlich. Er zeigt einen Autonomieverlust der
Natur- und Ingenieurwissenschaften, der sich im Zuge abnehmenden Technikver-
trauens früh abzeichnete. Die Ingenieursstudie von Gerd Hortleder aus den frühen
1970er Jahren zeigt eine höchst apolitische Haltung naturwissenschaftlich-techni-
scher Verbände und Berufsgruppen.
27
Sie sahen sich als sachorientierte, politisch
neutrale Diener des Gemeinwesens und waren in dieser Naivität für politische
Instrumentalisierung anfällig. Einzig die deutsche Ärzteschaft hatte im Gefolge
der Gesetzlichen Krankenversicherung von 1884 eine aktive berufsständische Po-
litisierung durchgemacht und kann bis heute ihren gesundheitspolitischen Einfluss
geltend machen. Die Ingenieurwissenschaften sowie technischen Berufe hielten an
der Fiktion des politisch neutralen Fachexperten fest und blieben in ihrer Selbst-
wahrnehmung apolitisch. Deutschland unterscheidet sich hier stark von anderen
Ländern. In Frankreich dienen die Eliteschulden und daraus rekrutierten Grand
Corps d’Etat als Sprungbrett in die Politik, neben den Corps administratifs auch
die Corps techniques wie das Corps des Mines, das Corps des Ponts et Chaussees
oder das Corps d'Etudes economiques, aus denen die leitenden technischen Be-
amten rekrutiert werden. »Die politische Apathie der deutschen Ingenieure fällt
24 Gadamer 1974, S. 1145.
25 Hitzler 1994, S. 16.
26 Sprondel 1979.
27 Hortleder 1973.
48 Roland Czada
besonders im Vergleich zu den amerikanischen Ingenieuren ins Auge«
28
, die sich
erfolgreich gegen die in den 1960er und 70er Jahren aufkommende gesellschaftli-
che Kernenergiekritik positionierten, während sich die Profession in Deutschland
der Stimme enthielt oder in Larmoyanz verfiel.
29
Wandel von Politikberatung
In Deutschland kam es erst ab den 1980er Jahren zur vermehrten Gründung
politiknaher »Think Tanks«. Dazu zählten die als Teil der Landesverwaltung kon-
zipierte »Denkfabrik« in Schleswig-Holstein (1989), die Akademie für Technikfol-
genabschätzung in Baden-Württemberg (1991), das Institut für Arbeit und Tech-
nik (1988) und das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie (1991)
in NRW, eine gemeinsame Zukunftskommission der Länder Bayern und Sach-
sen (1995), das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag
(1990) sowie weitere Gründungen mit politischer Stoßrichtung wie das Berliner
Institut für Sozialwissenschaftliche Studien (1990) oder das Oswald von Nell-Bre-
uning Institut für Wirtschaftsethik an der Frankfurter Jesuiten-Hochschule St.
Georgen (1993).
30
Zugleich traten gesellschaftliche Gruppen, » Bürgerinitiativen,
Kirchen und sektorspezifische Interessengruppen als Auftraggeber und Adressa-
ten von wissenschaftlich-politischem Rat neben die klassischen politischen Instan-
zen«.
31
Die 1956 eingerichtete »Atomkommission« kann als Musterbeispiel für das in
Deutschland bis in die 1980er Jahre vorherrschende, von Subsystemautonomie
geprägte Verhältnis von Wissenschaft und Politik gelten. Sie war mit anerkannten
Repräsentanten der Spitzenforschung, Technik, Wirtschaft und Politik bestückt
worden, darunter zwei weltweit renommierte Nobelpreisträger (Werner Heisen-
berg und Otto Hahn als gleichberechtigte Vizepräsidenten), die sich eindeutig
gegen Atomwaffen positioniert hatten; wohl wissend, dass die deutsche Regierung
solche Waffen anstrebte.
32
Die Kommissionsmitglieder konnten für die von ihnen
vertretenen Teilgebiete nicht nur sprechen, sondern zugleich Vereinbarungen mit
umsetzen, als Forschende und Betreiber von Pilotanlagen, Unternehmer, Banker,
Gewerkschafter und Politiker. Jedes Mitglied der Atomkommission wurde danach
ausgewählt, welche »Schalthebel« der Atompolitik es sachverständig und in rela-
tiver Distanz zur Politik bedienen konnte. Ein wichtiger Aspekt betraf die Nicht-
Öffentlichkeit der Politikberatung. Der damalige Atomminister Strauß verlangte
»Vertraulichkeit [...] wegen der Geschlossenheit der Kommission und der nötigen
3.
28 Uekötter 2018, S. 401.
29 Das ist ein Ergebnis von mehr als 50 Experteninterviews, die ich im Rahmen meines
Habilitationsprojektes in den USA und Deutschland führen konnte; Czada 1992.
30 Thunert 2004, S. 404.
31 ebd.
32 Eckert 1989.
Zwischen Sachzwangideologie und Technokratiekritik 49
Leviathan, 49. Jg., Sonderband 38/2021
Offenheit der Diskussionen«.
33
Letztlich wurde ›Geheimhaltung‹ sogar in der
Geschäftsordnung verankert und vom Ministerium formell gehandhabt. Die Poli-
tikberatung entsprach dem korporatistischen Modell der Interessenvermittlung.
Demnach sind staatlich und organisationsgesellschaftlich autorisierte Spitzenver-
treter sowohl an der Aushandlung als auch an der Ausführung von Politik betei-
ligt. Sie agierten in relativer Autonomie vom Staat und gegenüber einer in Verbän-
den, Fachgemeinschaften, Unternehmen, Parteien und Verwaltungen organisierten
Gefolgschaft.
34
Der Unterschied zur »Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung«
von 2011 (kurz »Töpfer-Kommission«, nach ihrem Vorsitzenden Klaus Töpfer)
könnte nicht größer sein. Sie hatte den auf drei Monate befristen Auftrag zu
prüfen, wie der Ausstieg aus der Atomenergie so vollzogen werden kann, »dass
der Übergang in das Zeitalter der erneuerbaren Energien ein praktikabler, ein
vernünftiger ist«.
35
Berufen wurden 17 regierungsfreundliche Einzelpersonen aus
Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft, Religion und Wirtschaft, darunter der
Soziologe Ulrich Beck, die Philosophin Weyma Lübbe, die Politikwissenschaftle-
rin Miranda Schreurs, zwei Bischöfe und der Präsident des Zentralkomitees der
deutschen Katholiken. Dabei standen nicht Fachkenntnis, Interessenausgleich und
die Implementation einer Vereinbarung im Vordergrund. Vielmehr ging es um
Konsensmobilisierung unter Einbindung von Stimmen aus der Zivilgesellschaft.
Der Ombudsmann für gute wissenschaftliche Praxis am Deutschen Institut für
Luft- und Raumfahrt, André D. Thess, kritisierte in einem offenen Brief an den
Co-Vorsitzenden Matthias Kleiner, damals Präsident der Deutschen Forschungsge-
meinschaft (DFG), die professoralen Kommissionsmitglieder hätten Grundregeln
wissenschaftlicher Unabhängigkeit missachtet und das Vertrauen der Gesellschaft
in die Freiheit der Wissenschaft von politischer Einflussnahme aufs Spiel gesetzt.
Weder seien ausgewiesene Fachleute der Kernenergietechnik noch der internatio-
nale Forschungsstand in Erwägung gezogen worden.
36
Auftrag, Zusammensetzung, Zeithorizont und Arbeitsweise der »Ausstiegskom-
mission« von 2011 unterscheiden sich deutlich von der »Einstiegskommission«
des Jahres 1956. Zu den Unterschieden zählte der Umgang mit Öffentlichkeit. Am
28. April veranstaltete die Ethikkommission eine öffentliche Anhörung, die im
Fernsehen und im Internet übertragen wurde, an der 28 geladene Gäste teilnah-
33 Müller 1990, S. 175.
34 Daraus resultiert die intermediäre Stellung von verpflichtungsfähigen Fachvertretern,
die zwischen einer damals vergleichsweise geschlossenen und wohlorganisierten Ge-
folgschaft und der Regierung positioniert waren; vgl. zum Konzept korporatistischer
Interessenvermittlung Czada 2018.
35 So Bundeskanzlerin Angela Merkel am Tag der Einsetzung, Online: https://archiv.bund
esregierung.de/archiv-de/statements-der-kanzlerin-sowie-der-minister-bruederle-und-ro
ettgen-zur-weiteren-nutzung-der-kernenergie-in-deutschland-425228.
36 André D. Thess: »Offener Brief an Matthias Kleiner und die Professoren der Ethik-
kommission Atomkraft«: https://www.igte.uni-stuttgart.de/dokumente/dokumente_es/
Thess/02_Offener_Brief.html.
50 Roland Czada
men und bei der auch Stimmen pro Kernenergie zu Wort kamen, die als Äußerung
von Partikularinteressen wahrgenommen wurden und vermutlich auch wahrge-
nommen werden sollten. Ein markanter Unterschied lag darin, dass die Mitglieder
der »Ausstiegskommission« nicht mehr institutionell, organisationsgesellschaft-
lich, sondern ideell zivilgesellschaftlich legitimiert wurden und insofern weder or-
ganisierte Interessenkonflikte repräsentieren noch eigene Handlungsbeiträge leis-
ten konnten. Sie berieten im Einvernehmen ohne über ihre propagandistische
Funktion hinaus an der administrativen Umsetzung von Beschlüssen mitwirken zu
können. Das ist die wesentliche Differenz zur Interessenvermittlung zwischen Ver-
tretern korporativer Mitgliedsverbände, die in Gestalt von Selbstverpflichtungen
nicht nur an der Formulierung, sondern auch an der Ausführung von Politik teil-
haben.
Die »Töpfer-Kommission« bot lediglich einen diffusen Richtungskonsens ohne
Handlungskonsens, der über die Ratgeberrolle hinausweist. Damit erhält das Be-
ratungsorgan eine propagandistische Funktion, umso mehr, wenn es regierungs-
freundlich besetzt wird. Die Implementation von Politik bleibt mit operativen
Konsenshürden konfrontiert, wie sie generell dem Erfolg der deutschen Energie-
und Klimawende, etwa beim Kohleausstieg, entgegenstehen.
37
Mit der Problema-
tik fehlenden Umsetzungswissens und daraus resultierender Vollzugsmängel sind
Formen der Politikberatung, wie sie derzeit in Ad-hoc-Kommissionen und Gipfel-
runden vorherrschen, generell belastet.
38
In welchem Maße Expertise nur Ratschläge beinhaltet, selbst eine handlungs-
leitende Funktion gewinnt, oder gar eigene Handlungsbeiträge leisten kann, ist
eine für die Einschätzung von Expertise-Systemen entscheidende Frage, die in
wissenssoziologischen Abhandlungen meist zu kurz kommt.
39
Ein Trend zu mehr
Rat und weniger Tat bleibt so unerkannt
40
und es entsteht der Eindruck techno-
kratisch-elitärer Politikentwicklung, wo in Wirklichkeit politische Entscheidungen
mittels umstrittener Fachexpertise nur legitimiert, dann aber ohne fachkundige
Begleitung defizitär implementiert werden.
Technikkritik in der Technokratiedebatte
Darüber, was Technik vermag, war man sich bis in die 1970er Jahre weitgehend
einig. Niemand bezweifelte, dass neue Technologien wie Kernenergie, Atombom-
ben, Kunststoffe oder Computer funktionierten. Die damalige Kritik hatte noch
nicht die Risiken und Gefahren im Blick, die von versagender Technik ausgin-
gen.
41
Vielmehr warnte sie vor mit technischer Perfektion zunehmenden Zerstö-
rungskräften und Herrschaftsansprüchen, wie sie in konservativen Fantasien eines
4.
37 Benz und Czada 2019.
38 ebd., S. 404.
39 Grundmann 2017.
40 Heinze 2002.
41 Adorno 1997; Sieferle 1991; Habermas 1968; Anders 1956.
Zwischen Sachzwangideologie und Technokratiekritik 51
Leviathan, 49. Jg., Sonderband 38/2021
»Technischen Staates«
42
aufschienen. Technik, die perfekter funktioniert als der
Mensch, dessen »Antiquiertheit« im technischen Zeitalter
43
und die Folgen für
politische Herrschaftsverhältnisse wurden so zum Gegenstand kritischer Ausein-
andersetzung.
Die kritische Technikphilosophie der 1950er und 1960er Jahre formulierte eine
technikgläubige und doch radikale Technikkritik. Heidegger, Horkheimer und
Adorno, Jünger, Anders, Gadamer und Habermas gingen von einer zunehmenden
auf Wissen gestützten technokratischen Herrschaft aus. Die Kritik gewann ihre
Radikalität dadurch, dass sie, anders als Marxisten, Sozialdemokraten und kon-
servative Technokraten, ›Naturbeherrschung‹ nicht als Befreiung, sondern als Vor-
boten von Unfreiheit, Entmündigung und Entwurzelung menschlicher Existenz
empfunden haben.
Dem gegenüber stand das Ziel, Herausforderungen der wissenschaftlich-tech-
nischen Zivilisation nicht nur anzunehmen, sondern in Gestalt eines von Sach-
verstand geleiteten »Technischen Staates« proaktiv voranzutreiben.
44
Bis in die
späten 1970er Jahre folgte die Politik dem Kurs technischer und ökonomischer
Modernisierung, ergänzt durch neue Instrumente der Technikfolgenabschätzung
und einem 1974 aufgelegten staatlichen Programm der »Humanisierung des Ar-
beitslebens«.
45
Die 1970er Jahre waren ein Jahrzehnt voller Machbarkeitsillusio-
nen und Planungseuphorie. 1974 konstituierte sich die Kommission für den Aus-
bau des technischen Kommunikationssystems (KtK), die den Bau eines mit allen
Telefonanschlüssen verbundenen Supercomputers in Deutschland vorschlug. Die
Modernisierungspolitik fand in dem 1975 vom späteren Forschungsminister Vol-
ker Hauff und Fritz W. Scharpf publizierten Band Modernisierung der Volkswirt-
schaft. Technologiepolitik als Strukturpolitik eine handlungsprägende Leitlinie.
46
In Frankreich und darüber hinaus stieß das Buch La nouvelle classe ouvrière
von Serge Malett auf großen Anklang. Ihm zufolge sollte Ingenieuren als fort-
geschrittenstem Teil der Arbeiterklasse eine gesellschaftsverändernde politische
Mission zukommen. Eine von Rudi Dutschke, dem marxistischen Wortführer der
1968er Studentenbewegung hinterlassenen Notiz zu Mallets Werk, wendet sich
gegen den Technikpessimismus der Frankfurter Schule und ihre als »Dialektik der
Aufklärung« bekannte These: »Die Entwicklung der Produktivkräfte hat einen
solchen hohen Stand erreicht, daß der weitere Verbleib der dialektischen Theorie
in der Position der bestimmten Negation nur noch als Perpetuierungsmoment der
Herrschaft benannt werden kann«, schreibt Dutschke 1965 als Mallets Buch ge-
rade in Frankreich erschienen war. Er war in seiner positiven Einschätzung tech-
nischer Produktivkraftentwicklung und deren Transformativgewalt ganz auf der
42 Schelsky 1961, S. 22.; Schäfers 1987.
43 Anders 1956.
44 Schelsky 1961; vgl. Habermas 1968, S. 80.
45 Matthöfer 1978.
46 Hauff und Scharpf 1975.
52 Roland Czada
Linie des ihm befreundeten marxistischen Philosophen Ernst Bloch.
47
Der erkenn-
bar affirmative Umgang mit wissenschaftlich-technologischem Fortschritt war ein
Kennzeichen linker Gesellschaftsentwürfe, die von orthodox-marxistischen bis zu
sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Positionen reichten und sogar Anklänge
an das konservative Konzept des »Technischen Staates« aus den frühen 1960er
Jahren erkennen ließ.
Sachverständige Beratung, Demokratie und Staat
Die Grundannahme, dass Wissenschaft und Technologie die Lebensverhältnisse
unaufhaltsam revolutionieren, war bei den Verfechtern technokratischer Gesell-
schaftssteuerung nie umstritten.
48
Ihre Gegner thematisierten demgegenüber die
Zähmung der Technik sowie die Rolle und Kontrolle von Expertenwissen und
dessen Verhältnis zu Demokratie und Staat. Daraus erwuchs eine Debatte über
Möglichkeiten und Wünschbarkeiten bis hin zu einer behaupteten Notwendigkeit
technokratischer Herrschaft, die unter dem Stichwort »Technischer Staat« einen
festen Platz in der Diskursgeschichte der Bundesrepublik einnimmt.
Helmut Schelsky skizziert den »Technischen Staat«
49
als Konsequenz des wis-
senschaftlichen und technischen Fortschritts und einer daraus folgenden Abhän-
gigkeit der Politik von »sachverständiger Beratung«. Staatliche Politik unterliege
einer Sachgesetzlichkeit, die aus menschlicher Wissensarbeit notwendig hervorge-
he, ideologische Weltbilder zurückdränge und den im Meinungskampf generierten
politischen Volkswillen sowie die daraus resultierenden Herrschaftsverhältnisse
ersetze.
Diese »konservative Utopie«
50
beschreibt ein expertokratisches Vernunftregime,
das die Herrschaft von Menschen über Menschen aufheben und zugleich ein »En-
de der Ideologie«
51
bewirken sollte. Ihre Nähe zum »wissenschaftlichen Sozialis-
mus«, der ebenfalls auf eine emanzipatorische Teleologie hinausläuft und ähnlich
deterministisch auftritt, ist unverkennbar. In der Technokratiedebatte standen sich
nicht ›links‹ und ›rechts‹ gegenüber, sondern Demokratie und Technokratie, politi-
scher Pluralismus und Sachzwangherrschaft. Letztere zielt auf einen Gesellschafts-
entwurf, der weit über Fragen von Einsatz und Folgen der Technik hinausgeht.
Die Debattenbeiträge setzen am ursprünglichen Begriff von téchnē als praktisches
5.
47 Bloch vermittelt in Band zwei seiner Trilogie »Prinzip Hoffnung« einen Technikopti-
mismus, der selbst die im zeitgleich veröffentlichten Atomplan der SPD enthaltene
Fortschrittseuphorie in den Schatten stellt. Als Beobachter mehrerer Treffen von Rudi
Dutschke mit Ernst Bloch und nach einem Gespräch mit Ernst und Carola Bloch
(1976) kann ich deren Hoffnung auf Befreiung von Herrschaft durch Automation und
Technik bestätigen.
48 Habermas 2015.
49 Schelsky 1961; Schäfers 1987; Lenk 1986; Saage 1986.
50 Saage 1986, S. 47.
51 Bell 1960.
Zwischen Sachzwangideologie und Technokratiekritik 53
Leviathan, 49. Jg., Sonderband 38/2021
planungsrelevantes Wissen an, das auf ein Ziel, ein Werk oder eine Tat hinstrebt.
Entsprechend geht es nicht um einzelne Apparaturen, sondern wesentlich um die
Herstellung von Wirklichkeit. Deren dunkle Kehrseite ist Thema der Technokra-
tiekritik, die man ebenso gut als Machbarkeitskritik bezeichnen kann. Sie wird
zur Zivilisationskritik wo die Einlassung auf Sachzwänge als Tragödie der Kultur
begriffen wird. Technik erscheint in dieser Kritik als zweite Natur, die von Men-
schen gemacht zugleich Macht über sie gewinnt: »Der Herr der Welt wird zum
Sklaven der Maschine. Sie zwingt ihn, uns, und zwar alle ohne Ausnahme, ob wir
es wissen und wollen oder nicht, in die Richtung ihrer Bahn. Der gestürzte Sieger
wird von dem rasenden Gespann zu Tode geschleift« schriebt Oswald Spengler in
seiner 1931 publizierten Schrift Mensch und Technik.
52
Karin Eckermann hat den Einfluss Spenglers auf Arnold Gehlen, Jürgen Ha-
bermas, Theodor W. Adorno, Helmut Schelsky, Daniel Bell, Ivan Illich, Martin
Heidegger und Günther Anders nachgezeichnet.
53
Der Spengler‹sche Kulturpessi-
mismus, seine Kennzeichnung der Maschine als »listigste aller Waffen gegen die
Natur«
54
hat den Technikdiskurs nachfolgender Generationen geprägt und ist
selbst in der Affirmation technokratischer Machbarkeit noch spürbar. Er findet
sich in einer rückwärtsgewandten »populistischen Reaktion gegen Experten oder
Technokraten«
55
, die in romantischer Verklärung bis heute fortwirkt.
56
Technikkritik fand sich im Parteiensystem vor allem in der aus Anti-Atom-
und Friedensinitiativen entstandenen, 1980 gegründeten Partei »Die Grünen«. Sie
kritisierte vehement geschlossene »Expertenklüngel« und ihren Einfluss auf Ge-
richtsurteile, und sie unterstützte im Verein mit Bürgerinitiativen und sozialen Be-
wegungen die Bildung einer Gegenexpertise-Szene parteinaher Wissenschaftler.
57
Aus der gesellschaftlichen Konfliktlinie zwischen Ökonomie und Ökologie er-
wuchsen alternative Lebensentwürfe, wie sie seit den 1920er Jahren in technik-
kritischen Diskursen aufscheinen. Die in Deutschland verbreitete Ablehnung der
Kernenergie, Gentechnologie, großer Infrastrukturprojekte oder einer vernetzten
Datennutzung geht nicht selten einher mit esoterischen Einstellungen und alterna-
tiven Lebensentwürfen sowie der Forderung nach Verboten und Einschränkungen
ungezügelter technischer Naturbeherrschung. Dies unterscheidet das grün-alterna-
tive Milieu deutlich von Machbarkeitsvorstellungen, die in marxistischen und
sozialdemokratischen Debatten bis in die 1980er Jahre vorherrschten.
Eine Diskurskapriole besonderer Art lässt sich im Verhältnis ökologisch-alterna-
tiver Bewegungen zum Staat ausmachen. In den 1970er und 80er Jahren übten
sie eine radikale Parteien-, Staats- und Bürokratiekritik bis hin zu anarcho-liber-
tärer Staatsablehnung. Sie entstammte Protesten gegen einen imaginierten Atom-
52 Spengler 1931, S. 75.
53 Eckermann 1980.
54 Spengler 1931, S. 73.
55 Bell 1960, S. 40.
56 Gumbrecht 2013; vgl. Roberts 2012.
57 Rucht 1988; Saretzki 1997.
54 Roland Czada
und Überwachungsstaat.
58
Teile der Grünen stellten sogar das staatliche Gewalt-
monopol in Frage. Sobald sie aber an den ersten Landesregierungen beteiligt wa-
ren, bedienten sich ihre Minister sehr schnell rechtsstaatlicher Mittel, um mit Still-
legungsverfügungen, verschärften Genehmigungserfordernissen und Aufsichts-
maßnahmen gegen Betriebe der Atom- und Chemieindustrie sowie im Verkehrs-
und Forschungssektor vorzugehen. Mit dem Einzug in einige Länderparlamente
und nach deren Regierungsbeteiligung in Hessen (1986) sah die Partei Technikre-
gulierung als prioritäre Staatsaufgabe, womit auch die Haltung zum Staat neu be-
wertet wurde.
59
Technikkonflikte, die eine wachstumsskeptische Staatskritik mit
auslösten, verhalfen so dem Staat zu neuer Wertschätzung. Der Energie-Umwelt-
Konflikt und seine Institutionalisierung bewirkten nicht, wie zunächst befürchtet,
einen ökologischen Bürgerkrieg und die Paralyse des Staatsapparates, sondern be-
förderten eine Renaissance regulativer Staatlichkeit und eröffnete eine Legitimati-
onsquelle, wie sie für den Wohlfahrtsstaat mit seinem Schwerpunkt auf Vertei-
lungspolitik versiegt schien.
60
Auf Euphorie folgt Desillusionierung
Die im politischen Diskurs vorherrschenden Machbarkeitsvorstellungen der ersten
Nachkriegsjahrzehnte wurden ab Mitte der 1970er Jahre desillusioniert. Eine
ökonomische Stagnationsphase widerlegte den Glauben an krisenfreies Wachstum
und Vollbeschäftigung, der in Westdeutschland nach der keynesianischen Wende
von 1968 vorherrschte. Unerfüllte Fünfjahrespläne und sich auftürmende Devi-
senschulden trübten gleichzeitig in Ostdeutschland die Hoffnung auf das einst
versprochene sozialistische Wohlfahrtsparadies. Zweifel an der Fähigkeit zu tech-
nokratischer Wirtschaftssteuerung sind wenig später durch Technikversagen und
eine Serie von Umweltkatastrophen verstärkt worden.
Ab 1979 ereigneten sich rasch aufeinanderfolgend einige verheerende technische
Großkatastrophen: Seveso, Harrisburgh, Bhopal, Tschernobyl, Schweizerhalle,
Zeebrugge, Hillsborough, Challenger, Exxon-Valdez, Estonia, Erika, Concorde,
Kursk sind nur einige ikonische Namen, die von einer Wende in den Einstellungen
zur Technik künden. Sie stehen für eine Serie von Störfällen, Unfällen und Kata-
strophen, die mit Todesopfern, schweren Gesundheitsschäden bis hin zum folgen-
reichen Zusammenbruch sozio-technischer und politischer Strukturen verbunden
waren.
61
Der 1972 erschiene Bericht »Die Grenzen des Wachstums« des »Club of Ro-
me« beeinflusste gegen Ende des Jahrzehnts einen ökologischen Wendediskurs,
der vor einer Drohkulisse aus »Ozonloch«, »Saurem Regen«, »Waldsterben«,
»Steinesterben«, »Chemiekatstrophen«, »Kernschmelzen« anschwoll. Die in den
6.
58 Jungk 1979; Peters 1979; Timm 1980; Tiefenbach 1998.
59 Tiefenbach 1998.
60 Vgl. Czada 2001.
61 Lagadec 1987; Czada 2001; Czada 2003.
Zwischen Sachzwangideologie und Technokratiekritik 55
Leviathan, 49. Jg., Sonderband 38/2021
achtziger Jahren wachsende Literatur zu Technikfolgen und die Rede von der »Ri-
sikogesellschaft« handeln von individuellen und gesellschaftlichen Bedrohungssze-
narien, von Unsicherheit und vermeidbaren Risiken der Technik. Statt Chancen
der Technikentwicklung rücken nun inhärente, von ihr selbst gesetzte Grenzen ins
Zentrum der Aufmerksamkeit. Charles Perrows »normale Katastrophen«
62
, Ul-
rich Becks »Risikogesellschaft«
63
und Robert Jungks »Der Atom-Staat«
64
waren
drei Bücher, die den neuen, von tiefer Skepsis durchtränkten Technikdiskurs ge-
prägt haben. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 wendete er
sich teilweise ins Dystopische. Die Rede vom »Atomstaat«
65
beschwor die Gefah-
ren einer Expertendiktatur, angeführt von einer »Atom-Mafia«, die wegen ihrer
todbringenden Politik auf breiten Widerstand stoßen müsse. Da es um Leben und
Tod gehe, habe das demokratische Mehrheitsprinzip ausgedient.
66
In den 1980er Jahren änderte sich auch der Blick auf die Rolle von Experten-
wissen. Galt vordem die Figur des neutralen Fachexperten als Leitbild, traten
zunehmend Gegenexperten auf den Plan. In den 1970er Jahren musste zu Hea-
rings über Kernkraftstandorte noch Gegenexperten aus den USA eingeflogen
werden, weil in Europa die Vorstellung pluralistischer Expertise bis dahin als
abwegig betrachtet wurde. Das Öko-Institut Freiburg und sein Darmstädter Ab-
leger zeigten 1977 zaghafte Anfänge einer institutionalisierten Gegenexpertise,
wie sie in den USA lange vorher Bestand hatte. Die Vorreiterrolle der USA lag
in der adversativen amerikanischen Verwaltungskultur begründet. Die in den
Codes of Regulation, im Administrative Procedures Act und Freedom of Informa-
tion Act enthaltenen Verfahrensvorschriften begünstigten offene, gerichtsähnliche
Entscheidungsverfahren mit kontrovers urteilenden Sachverständigen als Haupt-
zeugen und einen freien Informationszugang. Daraus ergab sich früh ein evidenz-
basiertes Kräftemessen in gesetzlich normierten Hearings und Verfahren »Admi-
nistrativer Interessenvermittlung«.
67
Die frühe Beteiligung von Sachverständigen
an öffentlichen Verwaltungsverfahren hat in den USA Kapriolen verhindert, wie
wir sie rückblickend in deutschen Technikdiskursen beobachten. Gemeint ist der
radikale Umschwung vom Glauben an politisch neutrale Fachexpertise und eine
potenziell segensreich funktionierende Technik in eine von Furcht vor Technikver-
sagen und Katastrophenangst geprägte Gegenwelt.
Neue Technokratiediskurse: Alte Fragen neu gestellt
Mit dem Aufstieg des Regulierungsstaates und nach der neoliberalen Wende der
1980er Jahre begann ein neuer, mit dem Stichwort ›Digitalisierung‹ verbundener,
7.
62 Perrow 1987.
63 Beck 1986.
64 Jungk 1979.
65 Ebd. 1979.
66 Vgl. Guggenberger und Offe 1984.
67 Czada 1992.
56 Roland Czada
Technologiezyklus. Mit ihm nahm die Dominanz technischer Systeme und Infra-
strukturen für die Arbeits- und Lebenswelt, ebenso wie für die Politik, weiter
zu. Neue Technologien prägen wie nie zuvor die Lebenswelt. Zugleich und trotz-
dem geriet proaktiv gestaltende Technologiepolitik in den meisten liberal-demo-
kratischen westlichen Ländern zum Randthema. Erst nach dem Millennium hat
eine neue, disruptive Technologieentwicklung Kontur gewonnen, auf die man po-
litisch reagieren musste. Was zunächst als ›Tech-Blase‹ erschienen war, ist zu einer
beispiellosen technologischen Revolution herangewachsen. Künstliche Intelligenz
(KI), Biotechnologie, Gentechnik, Neurotechnologien, Transhumanismus, Digita-
lisierung, Blockchain, Quantenprozessoren, KI-Robotik, Industrie 4.0, Internet
der Dinge, molekulare Nanotechnologien, neue Weltraumabenteuer, Big Data, E-
Government und immer effizientere Kommunikations- und Überwachungstechno-
logien stellten die alten Fragen nach dem Verhältnis von Mensch, Staat, Technik
und Leben neu. Damit ist ein zunehmender Beratungsbedarf der Politik verbun-
den, der sich unter anderem in Gipfelrunden der Bundesregierung mit Experten
und Interessenten niederschlug: Autogipfel, Wasserstoffgipfel, Batteriegipfel, Ener-
giegipfel, Klimagipfel, Digitalgipfel, KI-Gipfel et cetera.
68
Auf die Gegenwart bezogen lautet eine der in Deutschland kontrovers disku-
tierten Fragen zugespitzt: Ökomoderne oder Suffizienz-Gesellschaft? Die politi-
sche Ökonomie einer postfossilen Gesellschaft basiert entweder auf technischen
Problemlösungen, die Umwelt- und Klimaschutz mit Wohlstand und Fortschritt
versöhnen
69
, oder auf einer Postwachstumsökonomie gestützt auf Wachstumsver-
zicht (De-Growth), Eigenproduktion und handwerkliche Reparaturwirtschaft.
Konsumenten sollen so ihr Leben von nutzlosem Überfluss befreien, der nur
Geld, Zeit, Raum und ökologische Ressourcen kostet. Konzepte des De-Growth
fordern Verzicht auf energiehungrigen Technikeinsatz und eine Verkürzung der
Lohnarbeit zugunsten von manueller Haus- und Gartenarbeit. Re-Design, Up-
cycling und Zero Waste sind weitere Stichworte dieser Debatte.
70
Dagegen ver-
spricht das Konzept der Ökomoderne technische Lösungen gegen die Übernut-
zung von Naturressourcen und zur Verhinderung eines weiteren CO
2
-Anstiegs.
Damit eröffnen sich neue, lange überholt geglaubte Perspektiven der Machbarkeit
und Anwendbarkeit technischer Lösungen von Gegenwartsproblemen.
Die These liegt nahe, dass die von Risikotechnologien ausgehende Technikskep-
sis nachlässt und das Diskurspendel früher oder später zugunsten technischer
Problemlösungen oder gar Menschheitshoffnungen zurückschwingt. Insbesonde-
re die Herausforderungen der Energiewende und der Klimapolitik begünstigen
die Entstehung eines neuen Deutungsrahmens, der von einem technologischen
Gestaltungsoptimismus geprägt ist.
71
Hinzu kommen neue Technologien, die sich
als Alternativen zu riskanten großtechnischen Systemen anbieten. Sie geben dem
68 Krick 2010.
69 Krüger 2013; Preston 2019; Czada 2014.
70 Paech und Paech 2011; Paech 2012; Fürst 2014.
71 Siller 2018; Fücks 2013.
Zwischen Sachzwangideologie und Technokratiekritik 57
Leviathan, 49. Jg., Sonderband 38/2021
Technikdiskurs eine neue Richtung. Aber auch hier drohen Desillusionierung und
neue Abgründe:
Gleichzeitig kommen mit der digitalen Entwicklung ernst zu nehmende Fragen zur Wie-
dervorlage, die das Verständnis von Technik als bloßer Verlängerung der menschlichen
Fähigkeiten anzweifeln. Bereits im bioethischen Diskurs um die Gentechnik reaktualisierte
sich die Science- Fiction-Spekulation, dass sich die manipulierte Natur zum unbezwingba-
ren Gegner des Menschen perfektionieren könnte. Diese Sorge zeigt sich nun auch im
Diskurs um künstliche Intelligenz: Lernende Algorithmen könnten irgendwann den Ver-
stand des Menschen überragen. Nicht mehr die Menschen – so die Dystopie – seien dann
die zwecksetzende Instanz, sie degenerierten gleich Robotern zu «Produktionsmitteln» der
künstlichen Intelligenz. Wie einst der Zauberlehrling und sein Besen. Aus dieser Sorge
folgt ohne Zweifel ein Auftrag an die Politik, die Beherrsch- und Gestaltbarkeit der
Verfahren zu sichern.
72
Mit den Ambivalenzen der biotechnologischen und digitalen Transformation ge-
winnen die vor mehr als einem halben Jahrhundert geführten Debatten neue
Relevanz und Aufmerksamkeit. Zusätzlich verschafft die Corona-Pandemie von
2020/21 dem Thema »Expertokratie und Politikberatung« erhöhte Aufmerksam-
keit und ebenso wissenschaftlichem Sachverstand neue Wertschätzung. Mit Ener-
giewende und Klimakrise eröffnet sich die Perspektive einer postfossilen Gesell-
schaft, die in der Auseinandersetzung zwischen technologischer Ökomoderne,
Suffizienz-Ökonomie und Verzichtsethik Kontur gewinnt. Damit einher geht eine
Verwissenschaftlichung des Diskurses, die nun jene fordern, die zuvor mit Ver-
weis auf das von Ulrich Beck betonte »Unwissen über Nebenfolgen«
73
besonders
technikkritisch auftraten. Wissenschaftliche Expertisen gelangen so zu neuem An-
sehen. Da dies in einem hochpolitisierten Kontext etwa der Klimapolitik oder
der Pandemiepolitik stattfindet, gelangt zugleich der Expertenstreit in eine breite
Öffentlichkeit. Seine Protagonisten sind versucht, »die Verbreitung der eigenen
Botschaft durch propagandistische Tricks wie Zuspitzung oder zweckorientierte
Selektion zu ›optimieren‹«.
74
Wissenschaft und Politikberatung geraten so leicht
in einen medialen Abnutzungswettbewerb. Mit zunehmender Nähe zur Politik
laufen sie Gefahr, eine angesichts drängender Gegenwartprobleme gerade wieder-
gewonnene Exklusivität und Autonomie erneut einzubüßen. Am Ende stünde
dann nicht die Rückkehr zur Verwissenschaftlichung der Politik, sondern wieder
und noch verschärft die Politisierung von Expertise, wie sie seit den 1980er Jah-
ren kennen.
75
Die aktuelle Technokratie-Debatte steht unter Vorzeichen, die von früheren
eklatant abweichen. Der heute wirkmächtigste Zyklus einer von Digitalisierung
und künstlicher Intelligenz geprägten Technikentwicklung verläuft überwiegend
ohne staatliche Einmischung. Konkrete Technikziele, wie sie in den Parteipro-
grammen der ersten Nachkriegsjahrzehnte formuliert wurde, fehlen oder bleiben
wirkungslos. Große, global agierende Technologiekonzerne geben stattdessen die
72 Siller 2018, S. 20.
73 Beck 1996.
74 Storch 2009, S. 316.
75 Vgl. Weingart 1983.
58 Roland Czada
Richtung vor. Dazu gesellt sich ein »Technikpopulismus der Konsumentenbür-
ger«.
76
Heute versucht Technologiepolitik das zu nutzen und zu fördern, was
der Markt bietet oder betreibt Marktschaffung. Anstelle eines technokratischen
Bündnisses von Großtechnik und Staat fördert sie Innovationen in Laboren und
Start-Ups. Allein im Infrastrukturbereich, etwa beim Energietransport – Strom,
Gas, Wasserstofftankstellen – versuchen westlich-liberale Staaten neue großtechni-
sche Systeme aufzubauen, bislang mit bescheidener Erfolgsbilanz.
77
Ein Thema der alten Technokratiedebatte ist gleichwohl zurück, und zwar unter
dem Stichwort »Technologische Singularität«.
78
Gemeint ist die Entstehung einer
künstlichen Superintelligenz als letzte Erfindung von Menschen, bevor alle weite-
ren Technologien von Maschinen erfunden werden.
79
Damit rückt die alte Frage
nach dem Verhältnis von Mensch und Maschine erneut in den Vordergrund; und
zwar in verschärfter Form, weil der Mensch nicht mehr durch den Gebrauch von
Werkzeugen sich und die Natur verändert, sondern selbst zum Werkzeug von
Maschinen werden könnte.
Manches, was gegenwärtig zu Themen wie Künstliche Intelligenz, Digitalisie-
rung, Energie- und Klimawende diskutiert wird, erinnert durchaus an eine Tech-
nikbegeisterung, wie sie in den 1950er Jahren zum Beispiel in Ernst Blochs Lob
der Kernenergie zum Ausdruck kam.
80
Wer sich in aktuelle Debatten über »Tech-
nologische Singularität« einliest, wird erstaunliche Parallelen zum Technikdiskurs
der 1950er und 60er Jahre feststellen. Die Debatte über »Technologische Singu-
larität« umfasst Themen wie Trans- und Posthumanismus, Superintelligenz und
Menschheit 2.0; allesamt Begriffe, die auf die Herausbildung einer, den mensch-
lichen Körper und Verstand überholenden, technischen Zivilisation und deren
Ausweitung auf den Weltraum hinweisen. Wird sie Menschen zu ihrem Vollzugs-
organ herabwürdigen oder zum Homo Deus
81
vervollkommnen? Diese Frage ist
nach den gewaltigen Demonstrationen technischer Potenz und Zerstörungskraft
im Zweiten Weltkrieg und in der allgemeinen Technikbegeisterung der Wiederauf-
baujahre schon einmal diskutiert worden. Insofern schwingt über allen Kapriolen
der Technokratiediskurse ein Grundton, der in der Frage nach Segen oder Fluch
der Technik mündet.
Heidegger hatte schon 1949 angedeutet, was heute mit »technologischer Singu-
larität« gemeint ist, nämlich die Vorstellung, dass Technik nicht mehr menschli-
ches Tun sei, sondern eine »überholende Gewalt« darstellt, die das Menschliche
76 Mai 2007, S. 1140.
77 Czada 2019a, S. 405.
78 Zuerst: Vinge 1993; Shanahan 2015, S. XV: »The idea that human history is approa-
ching a »singularity«—that ordinary humans will someday be overtaken by artificially
intelligent machines or cognitively enhanced biological intelligence, or both—has mo-
ved from the realm of science fiction to serious debate«.
79 Kurzweil 2006; Shanahan 2015; Harari 2015; Bostrom 2014.
80 Bloch 1959, S. 774.
81 Harari 2015.
Zwischen Sachzwangideologie und Technokratiekritik 59
Leviathan, 49. Jg., Sonderband 38/2021
hinter sich lässt und Menschen nur noch zu ihrem Vollzug braucht. Das klingt
nach Technikdeterminismus, geht aber insofern darüber hinaus, als es nicht mehr
nur um die Ungleichzeitigkeit zwischen technisch-materieller und nachholender
immaterieller Kultur geht – ein Problem, dass die konservative Technikkritik der
1960er Jahre proaktiv im Sinne einer Sachzwängen gehorchenden Politik lösen
wollte. Politikberatung wäre dann ein KI-Produkt, falls sie überhaupt noch ge-
braucht würde angesichts KI-gesteuerter Systeme, die Problemlösungen nicht nur
berechnen, sondern autonom selber ausführen. Damit würde der technologische
Fortschritt zum Selbstläufer. Fachleute zweifeln nicht daran, dass es so kommen
wird. Nur wann es so weit sein wird, ist offen.
Die als »Intelligenz-Singularität« beziehungsweise »Super-Humanität«
82
be-
zeichnete Vision hat bereits politische Reaktionen hervorgerufen. Im Januar
2015 richteten 7.000 Wissenschaftler, KI-Experten, Mathematiker, Statistiker und
Unternehmer einen offenen Brief an die amerikanische Regierung, in dem sie
die Erforschung der gesellschaftlichen Auswirkungen von KI fordern.
83
Die An-
tizipation einer »Singularitätsgefahr«, vor der Stephen Hawking, Elon Musk,
Ray Kurzweil und weitere als konkrete Bedrohung warnen, überwindet das
klassische Ingenieursdenken, wonach Technik eine autonome Gestaltbarkeit der
Welt ermöglicht. Technische Singularität ist anders: Keine Gestaltbarkeit, keine
Fehlbarkeit, keine Korrigierbarkeit, grenzenlose Skalierbarkeit, keine umstrittene
Expertise, keine menschliche Autonomie, sondern die pure Dominanz einer al-
les Menschliche übersteigenden »Superintelligenz«.
84
Die Vernetzung unendlicher
Datenmengen einschließlich der Erfassung aller jemals schriftlich festgehaltenen
Äußerungen und eine jedes menschliche Gehirn übertreffende Logik- und Analy-
seleistung sind nahezu Realität geworden. Damit eröffnet sich eine neue außer-
menschliche Dimension des Denkens, Kommunizierens und Entscheidens.
Fazit und Ausblick
Eine periodisch anschwellende Sachzwangrhetorik vermittelt den Eindruck fort-
schreitender Technokratisierung. Zugleich sehen wir Expertiseskepsis, unklare
Kompetenz- und Rationalitätskriterien sowie eine seit den 1980er Jahren stark
aufgefächerte Beraterszene. Konkurrierende Rationalitätsansprüche haben die Un-
terscheidung von Experten und Laien eingeebnet und schwächten die Autonomie
und Selbstverwaltung von Fachgemeinschaften. Was als technokratisch-elitäre
Politik erscheint, ist häufig nur konstruierte Alternativlosigkeit. Sie entspringt
einer von Risikodiskursen genährten Legitimationsquelle. Dieser bereits in älteren
Technokratiediskursen aufscheinende Zusammenhang erfährt eine neuerliche Zu-
spitzung, wenn superintelligente Maschinen als künftige politische Entscheider ins
Spiel kommen.
8.
82 Vinge 1993, S. 11; 20.
83 Russell et al. 2015, S. 106; Griffin 2015.
84 Bostrom 2014; Floridi 2014; Paura 2016.
60 Roland Czada
In Debatten zum Themenkreis Digitalisierung, Biotechnologie, Künstliche Intel-
ligenz und Technologische Singularität tritt eine Ambivalenz hervor, wie sie den
philosophisch-feuilletonistischen Diskurs zur technischen Zivilisation in Deutsch-
land seit jeher prägt. Zwischen Faszination und Furcht trägt er ein faustisches
Moment in sich: die Aussicht auf eine übermächtig werdende, letztlich unzähmba-
re Form technischer Naturbeherrschung. Damit wären wir dort, wo die Techno-
kratiediskurse nach Ende des zweiten Weltkriegs anfingen: In Heideggers Vortrag
Das Ge-Stell von 1949 ist die Botschaft, dass Technik ihrem Wesen nach zur
Herrschaft berufen sei, klar erkennbar: »Die moderne Technik ist, was sie ist,
nicht durch die Maschine, sondern die Maschine ist nur, was sie ist und wie
sie ist, aus dem Wesen der Technik. Man sagt daher nichts vom Wesen der
modernen Technik, wenn man sie als Maschinentechnik vorstellt«.
85
Die von
Heidegger imaginierte »Vollständige Bestellbarkeit« ist nichts anderes als techni-
sche Allmachbarkeit, die mehr mit dem Denken zu tun hat als mit monotonen
Kraftmaschinen, deren mechanische Beschaffenheit über Wesen und Wahrheit der
Technik hinwegtäuscht.
In den skizzierten älteren Technikdiskursen fungiert Technik als Synonym für
Machbarkeit. Wer von Technik redet, thematisiert Herrschaftsverhältnisse, die
durch Wissensvorsprünge begründet und durch Politikberatung vermittelt wer-
den. Im gegenwärtigen Diskurs rückt erneut die Frage ins Zentrum, ob der
Mensch noch ›Herr der Dinge‹ sei und es künftig bleiben könne. Wenn es so
weit käme, dass künstliche Superintelligenz entscheidet, würden sich Begriffe wie
›asymmetrisches Wissen‹ und ›Politikberatung‹ erübrigen. Die Gegenüberstellung
von Laien- und Expertentum würde durch die von Mensch und Maschine ersetzt
werden. Dann wäre an die Stelle der Herrschaft von Menschen über Menschen
eine robotisch diktierte Sachgesetzlichkeit getreten - so wie im Konzept des »Tech-
nischen Staates« der 1960er Jahre vorgezeichnet. Was in der damaligen Debatte
fehlt, ist die Vorstellung sachgesetzlicher Politik als Roboterherrschaft. Die ge-
dankliche Rückkehr zum einst ersehnten, nun algorithmisch ideologiefreien, neu-
tralen »Fachexperten«, entspräche einer Gesellschaft ohne umstrittenes Wissen,
ohne Demokratie, ohne Wahlfreiheit und – in Dystopien der KI-Kritik – einer rein
technischen Technokratie ohne Menschen und ohne Menschlichkeit.
Danksagung
Wertvolle Überarbeitungshinweise verdanke ich zwei anonymen Publikationsgut-
achten und ausführlichen Herausgeberreviews.
85 Heidegger 2005, S. 33; vgl. Gabriel 2020, S. 21.
Zwischen Sachzwangideologie und Technokratiekritik 61
Leviathan, 49. Jg., Sonderband 38/2021
Literatur
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Zusammenfassung: Diskurse über Technokratie und Expertise mäandern in Deutschland
zwischen Hoffnungen auf Machbarkeit und Zweifeln an Expertenrat. Sie zeigen Ambiva-
lenzen, die als Technikfeindlichkeit gedeutet wurden. Aktuelle Probleme der Klima- und
Pandemiepolitik sowie eine disruptive Technologieentwicklung geben technokratischem
Denken und Regieren neue Nahrung.
Stichworte: Technokratie, Technikdiskurse, Politikberatung, Expertenvertrauen, Ökomo-
derne
Between feasibility considerations and critique of technocracy.
Discourse jumps on technology and expert roles
Summary: Discourses on technocracy and expertise in Germany meander between hopes
for feasibility and doubts about expert advice. They show an ambivalence that has been
interpreted as technophobia. Current problems of climate and pandemic policy as well as
disruptive technological developments are feeding a new technocratic attitude and gover-
nance.
Keywords: Technocracy, Technology discourse, Policy advice, Expert trust, Ecomodernism.
Autor:
Prof. Dr. Roland Czada
Universität Osnabrück
Zentrum für Demokratie und Friedensforschung und Forschungsstelle Japan
Seminarstr. 33
49069 Osnabrück
roland.czada@uni-osnabrueck.de
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